Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat heute entschieden, dass ein 16-jähriger muslimischer Schüler des Diesterweg-Gymnasiums in Berlin nicht berechtigt ist, das islamische rituelle Mittagsgebet während der Schulpause auf dem Schulgelände zu verrichten. Er hat damit ein anderslautendes Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. September 2009 (vgl. dazu Pressemitteilung VG Berlin 40/2009) geändert und der Berufung des Landes Berlin stattgegeben.
Das Oberverwaltungsgericht ist zwar ebenso wie das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Gebetsverrichtung vom Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst werde, hat aber anders als dieses angenommen, dass hier eine Einschränkung zum Schutz anderer Verfassungsgüter gerechtfertigt ist. Es sei zu berücksichtigen, dass in der Schule eine Vielzahl unterschiedlicher Religionen und Glaubensrichtungen aufeinandertreffe und es auch Schüler gebe, die keiner Religion angehören. So seien namentlich am Diesterweg-Gymnasium sämtliche Weltreligionen vertreten und unter diesen wiederum unterschiedliche Glaubensrichtungen, wie beim Islam Sunniten, Schiiten und Aleviten. Diese „Pluralität“ berge ein erhebliches Konfliktpotenzial, das sich bereits verschiedentlich konkretisiert habe und den Schulfrieden gefährde. So hätten sich unter anderem Konflikte ergeben, weil eine Reihe von Schülerinnen und Schülern nicht den Verhaltensregeln gefolgt seien, die sich aus einer bestimmten Auslegung des Koran ergäben, wie z.B. Kopftuchzwang, Fasten, Abhalten von Gebeten und Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch. Es habe sich gezeigt, dass der für die Verwirklichung des staatlichen Unterrichts- und Erziehungsauftrags unabdingbare Schulfrieden und der Schutz der unterschiedlichen Grundrechtspositionen in der Schülerschaft allein mit den im Schulgesetz vorgesehenen erzieherischen Mitteln, die auf gegenseitige Toleranz und Achtung ausgerichtet seien, nicht hinreichend zu gewährleisten sei, wenn religiöse kultische Handlungen zugelassen würden, die - wie das oftmals kollektiv verrichtete rituelle islamische Pflichtgebet - ohne weiteres von außen wahrnehmbar seien und sich damit von dem durch den Beklagten tolerierten stillen Gebet des Einzelnen unterschieden. Es sei daher plausibel, dass die Schulleitung sich - ohne hierzu vom Verwaltungsgericht verpflichtet worden zu sein - dazu entschieden habe, dem Kläger einen Raum zur Verfügung zu stellen, um seine kultischen Handlungen vom übrigen Schulleben abzuschirmen. Letztlich sei davon auszugehen, dass die vom Kläger angestrebte religiöse Betätigung notwendig flankierende sächlich-organisatorische Maßnahmen der Schule voraussetze, auf die auch verfassungsrechtlich kein Anspruch bestehe. Hierbei sei auch in Rechnung zu stellen, dass der Staat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten habe und die friedliche Koexistenz unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen nur gewährleisten könne, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahre. Folglich müssten dem Kläger gewährte Vorkehrungen bei vergleichbarer Interessenlage auch anderen Schülern gewährt werden, was gerade bei der Vielzahl der an der Schule vertretenen Religionen und Glaubensrichtungen angesichts begrenzter personeller und sächlicher Ressourcen der Schule die organisatorischen Möglichkeiten sprengen und die Konfliktlage auch nicht vollends beseitigen würde.
Das Oberverwaltungsgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
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